Jahrelang lebte ein Hornissenvolk direkt über meiner Gartenbank in der Hauswand. Ich saß direkt darunter, während sie ihrem „Alltag“ nachgingen. Keine der Hornissen kümmerte sich um mich und ich war von Tag zu Tag mehr fasziniert von ihnen. Im Laufe der Zeit entdeckte ich, dass es in der Luft so etwas wie Flugrouten gab, die exakt eingehalten wurden und ich beobachtete die Wächter am Eingang bei ihrer Arbeit. Sie hatten festgelegte Eingangskontrollen und auch Plätze in der Umgebung, auf denen sie sich auszuruhen schienen. Dort konnte ich eines Tages eine der Hornissen gut mit meiner Kamera festhalten. Sie wurden mir vertraut. In den Jahreszeiten, wo sie nicht da waren, fehlte mir etwas, wenn ich auf dieser Bank saß.
Als ich umzog vergößerte ich mir das Bild und hängte es an meinen Kühlschrank. Es gefällt mir, ich hege seit dieser Zeit eine noch größere Hochachtung vor diesen Insekten und bewundere sie. Außerdem liebe ich das frische Grün auf dem Bild, in der grauen Jahreszeit.
Eines Tages erhielt ich Besuch von ein paar Freundinnen, die meine Wohnung noch nicht kannten. Eine von ihnen sah mich plötzlich ganz entsetzt an und fragte mich, ob ich neuerdings dazu neige eine Diät zu machen, oder warum hätte ich sonst so ein abschreckendes Stechinsekt an meiner Kühlschranktür hängen, das offensichtlich verhindern soll die Tür zu öffnen?!
Ich war perplex über diese so komplett gegenteilige Betrachtungsweise und konnte erst gar nicht verstehen, dass sie nicht ebenso fasziniert war von der Hornisse auf dem Foto, wie ich. Immer noch, wenn ich dieses Bild in meiner Küche ansehe, denke ich darüber nach, wie andersartig jeder von uns ist und durch unterschiedliche Prägungen und Erlebnisse die gleiche Welt komplett anders empfindet und wahrnimmt. Dabei gibt es für mich kein richtig oder falsch, nur anders.
Das Tolle daran ist, es gibt niemals nur eine Realität oder Betrachtungsweise und schon gar nicht ist sie unveränderbar. Denn was ich heute abschreckend finde, kann sich schon morgen verändern. Nur dadurch, dass ich mehr verstehe, beobachte, genauer hinsehe und fühle; oder indem ich vielleicht einfach auf einer Bank sitze und am Leben faszinierender Wesen teilnehme, über die ich zuvor nur zu wenig wusste…
Ich wünsche Euch für das kommende Jahr 2015 einen noch größeren Betrachtungswinkel, die Neugier Andersartiges unvoreingenommen bestaunen zu können, die Freude täglich sein Wissen erweitern zu wollen und sich von der Natur faszinieren zu lassen; auch, oder gerade, weil es sich um Stechinsekten handelt…
Einen guten Rutsch ins neue Jahr. Ich freue mich auf viele, weitere faszinierende Touren mit Euch in die spannende Vielfalt der Natur!
Eure Sabine Bengtsson